Carignan, die verkannte Rotwein-Traube aus dem Süden
Wie viele andere südliche Rebsorten, zieht die
Carignan-Traube kargen, trockenen Boden vor - die typische Erde des
Mittelmeerraums. Sie wächst natürlich auch auf fruchtbareren Böden, zum Beispiel
in den Ebenen der nördlichen Gebiete Frankreichs oder Italiens, wo die Rebe mit
dem sowieso schon reichen Ertrag noch mehr Trauben trägt als im Süden -
doch der Wein ist von minderer Qualität, sein Geschmack ist streng mit einer
Tendenz zu starker Säure.
Diese im Pflanzenreich an sich ungewöhnliche Reaktion,
auf reicherem Boden schlechtere Qualität zu erzeugen, führte dazu, dass man
Carignan lange für eine minderwertige Rebsorte hielt oder zumindest für einen
Wein, den man nur im Verschnitt mit anderen Traubenarten benutzen konnte.
Andererseits wollte man auch nicht auf ihre guten Eigenschaften verzichten: ihre
schöne, dunkelrote Farbe, die sich bei der Mazeration auch auf andere Trauben
überträgt und ihr starkes Tannin, das geschmacklich Probleme bereiten kann,
doch dazu beiträgt, dass der Wein lange langerfähig ist.
Ein anderes Problem, das ausschließlich die Weinberge in
kälteren Gegenden - das heißt außerhalb des Mittelmeereinflusses - betrifft,
ist die späte Reife der Carignan-Traube. Im Gegensatz zu anderen Rebsorten
beginnt ihr Zyklus erst spät im Jahr, das heißt nicht vor Mitte Juni. Dadurch kann
ihr zwar Frühlingsfrost nichts anhaben, sie ist aber dem ersten Frost im Herbst
ausgesetzt. Die Kälte zerstört vielleicht nicht die Ernte, aber sie hat einen großen
Einfluss auf die Qualität des Weines.
So kommt es, dass erst die Experimentierlust der jüngsten
Winzergeneration des Languedoc die Qualitäten des Carignan als sortenreiner
Wein aufdeckte. Der typisch trockene und karge Boden im Süden Frankreichs und
die garantiert frostlosen Herbsttage lassen die Trauben voll ausreifen und ihr
Aroma entwickeln, das heißt den fruchtigen Geschmack, den man ihnen so lange
abgesprochen hat. Ein gut ausgereifter Carignan erinnert an rote Waldfrüchte,
Pflaumen, Edelgewürze und die Düfte der südlichen Heidelandschaft. Keltert man
die Trauben als Roséwein, so gewinnt man einen ausdrucksstarken, angenehmen
Fruchtgeschmack.
Um einen guten Carignan zu erhalten, muss der Winzer auch
auf das Alter der Weinstöcke achten. Denn wenn die ausgereiften Trauben einer
jungen Pflanze auch schon den typischen Fruchtgeschmack entwickeln, so ist das
Tannin doch noch sehr bitter und der Wein hat einen hohen Säuregehalt. Mit den
Jahren entwickeln sich diese Eigenschaften jedoch zurück, und mit dreißig bis
fünfzig Jahren, wenn die Weinstöcke „erwachsen“ sind, dominiert der
Fruchtgeschmack. - Dies ist einer der Gründe, warum die Weinmacher aus dem
Languedoc einen so guten Carignan keltern: viele Carignan-Weinberge wurden hier
schon in den 1950er oder 60er Jahren angepflanzt und sind inzwischen im „besten
Alter“.
Um die Nachteile zu junger Weinstöcke oder aus
Klimagründen schlecht ausgereifter Trauben zu kompensieren, hat man Carignan
lange in Cuvées benutzt. Syrah, Grenache oder auch Cinsault - vor allem für den
Roséwein - gelten als ausgezeichnete Rebsorten, um das starke Tannin und den
hohen Säuregehalt von zu jungen Carignan-Pflanzen oder schlecht ausgereiften
Trauben zu überdecken. In Verbindung mit Grenache gibt Carignan einen feinen,
eleganten Wein, mit Syrah wird er fruchtig und aromatisch.
Ein berühmter Wein, der schon immer von der Qualität des
Alterungsprozesses des Carignan profitiert hat, ist der spanische Rioja. Doch
man findet die Carignan-Traube auch in den Cuvées der korsischen Weine, unter
anderem in Ajaccio oder Calvi, im Faugères, wo sie, zum Beispiel in einer
hervorragenden AOC-Cuvée von Mas Onésime,
bis zu 45 Prozent ausmacht, sowie in etlichen Languedoc-Weinen, wo das Weingut VillaTempora
40 Prozent Carignan mit Syrah und Grenache verschneidet, um seinen
ausgezeichneten Rotwein „Villa Tempora“ zu keltern.
Doch Carignan wird auch in anderen französischen
Weingegenden nicht verschmäht. So verwendet man ihn im Roussillon, in der
Provence und sogar im Rhone-Tal, wo er Bestandteil von mehreren geographischen
Herkunftsbezeichnungen aus der Gruppe der „Côtes du Rhône Villages“, aber auch
von „Côte de Rhone“ und „Beaumes de Venise“ ist.
Mehr Informationen über die Rebsorte Carignan und ihre Geschichte.
Copyright: Sandra Winters