Montag, 29. April 2013

Château Mouton-Rothschild 1994: Symbol eines Aufstandes, der nie stattfindet

Mouton-Rothschild 1994 und sein Etikett: Karel Appel und der Aufstand der Kinder

Er wurde in Amsterdam geboren und in Paris begraben. Heute ruht er auf dem berühmtesten Friedhof Frankreichs, dort wo man die Gräber aller großen Künstler des Landes findet - auch wenn sie Franzosen sind nicht durch Geburt, sondern durch ihre Kultur...

Als Philippine de Rothschild, die Herrin von Château Mouton-Rothschild, den Holländer Karel Appel zu sich rief, war er den Kunstkreisen schon wohl bekannt. Seine erste Ausstellung fand in Groningen in Holland statt - da war er immerhin schon 25 Jahre alt. Doch dann ging seine Karriere steil nach oben: vier Jahre später, 1950, zog es ihn nach Paris und schon drei Jahre später stellte er im Palast der schönen Künste in Brüssel aus. Und kurz darauf in New York, Paris, Tokio...

Seine Vorbilder waren Künstler wie Pablo Picasso und Henri Matisse. Die französische Kunstszene zog ihn magisch an. Auch wenn er eine Zeitlang in Mexiko und in New York lebte, so fühlte er sich doch in Paris zu Hause.

Karel Appel hatte einen wichtigen Wunsch: er wollte Kind bleiben. Was ihn in der Kunst anzog, dass war die Idee, wie ein Kind zu malen. Er benutzte seine Farben "um auf einer Leinwand zu zeichnen wie mit einem Stück Kreide auf einer Tafel." Für ihn ist ein Gemälde "keine Konstruktion aus Farben und Strichen, sondern ein Tier, eine Nacht, ein Schrei, ein menschliches Wesen, es formt eine unteilbare Einheit."

Seine kindlich inspirierte und doch so reife Malerei gefiel denjenigen, die ihre Kindheit noch nicht ganz vergessen hatten - die aber auch nicht vergessen hatten, dass ein Kind oft hilflos einer Gesellschaft ausgeliefert ist, in der es keinen Platz findet. Für ihn waren Kinder ein Symbol der Wahrheit, kleine Menschen, die in einem Aufstand lebten, zu dem sie nicht fähig waren. Und so, ohne es zu wollen, verursachte er einen Skandal.

Kurz nach seiner ersten Ausstellung bat ihn die Gemeinde von Amsterdam, eine Wand in der Kantine des Rathauses zu gestalten. Was man wollte, das war eine ruhige, brave Darstellung von netten Kindern. Karel Appel tat, was man ihm beauftragt hatte - er stellte Kinder dar. Aber Kinder in seiner Wahrheit: stark und unfähig zugleich, voll Kraft und doch so schwach. Seine Bilder sprachen von der Kindheit, die er selbst erlebt hatte: Sohn von einfachen Eltern, der in der Gesellschaft unsichtbar war.

Die Beamten des Rathauses waren so entsetzt über sein Werk, dass es zehn Jahre lang unter einer Tapete versteckt wurde.

Es ist logisch, dass dieser Künstler eine Frau wie Philippine de Rothschild interessierte. Als es darum ging, ein Etikett für den Mouton-Rothschild 1994 zu gestalten, gab es für sie keinen Zweifel. Sie beobachtete das Schaffen von Karel Appel schon seit Jahren, es war Zeit, dass er in ihre "persönliche" Galerie eintrat.

Karel Appel war der erste holländische Künstler, der ein Etikett für Philippine de Rothschild entwerfen durfte. Und er enttäuschte sie nicht. Das Etikett des Mouton-Rothschild 1994 gelang ganz in dem Sinne des Künstlers, der selbst mit über 70 Jahren seinen Sinn für die kindliche Naivität und die stille Revolution nicht verloren hatte.

Mouton-Rothschild 1994 ist ein Jahrgang, auf dessen Etikett getanzt wird. Es könnte zwei Trinker darstellen, die wie entfesselt von allen Normen der Gesellschaft um eine Flasche herumtanzen. Diese Flasche könnte einen Marterpfahl symbolisieren - einen Marterpfahl, den sie besiegt haben. Es könnten aber auch zwei Kinder sein, deren Tanz die Freiheit herbeiruft, von der der Maler immer geträumt hat, und die die Tabus der Gesellschaft endlich in ihrer Macht haben.

Karel Appel starb 12 Jahre nach der Realisierung des Etikettes von Mouton-Rothschild 1994. Und es blieb das Symbol seines Schaffens: ein kindlicher Aufstand gegen die Unterdrücker, der nie stattfinden sollte.
Copyright: Sandra Winters

Sonntag, 28. April 2013

Cheval Blanc 1964 : Merlot stärker als Cabernet franc

Wie Cheval Blanc 1964 entgegen aller Expertenmeinungen zum Spitzenwein wurde

Eigentlich dürfte der Cheval Blanc 1964 kein guter Wein sein - aber zum Erstaunen der Experten gehört er zu den größten Jahrgängen, die das Weingut hervorgebracht hat.

Der Sommer Bordeaux 1964 traf die Weinliebhaber noch bei bester Laune an. Der Frühling war schon angenehm warm, ideal für die Blüte der Weinstöcke, und der Sommer wurde heiß und trocken. Es war eine Freude, die Entwicklung der Weinreben zu beobachten.

Doch mit der Weinlese kam die Katastrophe - starke Regenfälle zerstörten die Hoffnung auf einen Spitzenjahrgang für Rotweine. Besonders die Cabernet franc waren betroffen. Während die Merlot früh genug zur Blüte kommen, um in einem heißen Sommer rechtzeitig ausreifen zu können, nahm der Herbstregen den Cabernet franc jede Chance, ihre volle Kraft zu entfalten.

So ließen in Bordeaux 1964 alle Rotweine zu wünschen übrig, die vor allem auf Cabernet franc basieren. Der Herbstregen wirkte so verheerend, dass selbst Château d'Yquem darauf verzichtete, einen Yquem 1964 auf den Markt zu bringen... und das, obwohl ein herzhafter Herbstregen normalerweise die Reife der Likörweine fördert.

Wie erstaunt waren jedoch die Experten, als sie den Cheval Blanc 1964 kosteten - logischerweise ohne viel Enthusiasmus. Denn es stand von vornherein fest, dass der überwiegende Anteil von Cabernet franc in Cheval Blanc dem Château jede Chance nahm, einen guten Wein hervorzubringen...

Und dann kam die Überraschung: Cheval Blanc 1964 ist ein hervorragender Wein. Er ist so reif und ausgeglichen, dass man ihn sogar zu den großen Jahrgängen zählen kann. Der Merlot-Anteil des Weines - selbst wenn er geringer ist als der Anteil an Cabernet franc - war stark genug, um seinen Reifeprozess zu garantieren. Aus einem Jahrgang, den unvorhergesehen starke Herbstregen zum Scheitern verurteilt hatten, ist ein Spitzenwein hervorgegangen.

Bei den ersten Kostproben meinten die Experten, Cheval Blanc 1964 würde zwar gut altern, aber nicht sehr lange halten - man gab ihm bis ungefähr 2010. Doch inzwischen hat man festgestellt, dass er seinen fünfzigsten Geburtstag noch als hervorragender Wein feiern wird.
Copyright: Sandra Winters

Samstag, 27. April 2013

Yquem 1944 und Yquem 1994 - zwei Jahrgänge, die sich ähneln

Heißer Sommer und verregneter Herbst: Yquem 1944 und Yquem 1994, zwei große Likörweine

Man kann nicht behaupten, dass Bordeaux 1944 ein glückliches Jahr war. Wie überall in Europa litten die Menschen unter Entbehrungen und der Angst um ihr Leben. Auf den Weingütern wusste man nicht, wo man genügend Erntearbeiter finden sollte - die Männer waren im Krieg, und keiner wusste, ob und wann sie zurückkehren sollten.

Und trotzdem gab es einen Lichtblick. Der Frühling war warm und angenehm, der Sommer trocken und heiß. Die Herren der Weingüter sahen der Weinlese mit gemischten Gefühlen entgegen: alles ließ glauben, dass es ein hervorragender Jahrgang werden sollte - aber man musste erst einmal die Erntearbeiter finden.

Doch für die Rotweine kam die Enttäuschung im Herbst. Als die Weinlese losging, verschlechterte sich das Wetter, und starke Regengüsse brachen über Bordeaux herein. Nur die Liebhaber der Likörweine waren glücklich. Was den Rotweinen schadete, erhöhte die Qualität der Sauternes: endlich hatte der Yquem 1944 die Möglichkeit, seine Edelfäule ausreifen zu lassen. Der heiße Sommer hatte die Grundlage gelegt, der Herbstregen vollendete das Werk: Yquem 1944 wuchs zu einem Spitzenwein heran.

Heute ist Yquem 1944 ein perfekter Likörwein. Sein Geschmack ist ausgewogen, seine Reife auf dem Höhepunkt. Und, nach Meinung der Experten, wird dieser Höhepunkt wohl noch mindestens zehn Jahre andauern.

In Bordeaux 1994, fünfzig Jahre später, denkt kaum einer mehr an den Krieg. Die Weingüter finden genügend Arbeitskräfte - jetzt geht es um die Qualität, die Konkurrenz, den guten Ruf und den Kampf um den Kunden.

Doch immer noch ist die Natur stärker als die Geschäftsleute. Auch wenn die Weingüter die besten Fachkräfte einstellen, um sich bekannt zu machen - die Qualität hängt vom Wetter ab. Und das Wetter ist gut, in diesem Jahr. Wieder einmal ist der Frühling warm, der Sommer heiß und trocken... und wieder einmal macht das Wetter einen Strich durch die Rechnung der Weinbauern: die Weinlese hat kaum begonnen, als es anfängt, in Strömen zu regnen.

Und wieder ist es das Aus für viele Rotweine. Die Weine, die auf Merlot basieren, kommen noch am besten weg - sie sind konzentriert, ihr Tannin stark und ausgereift. Aber die anderen vermögen nicht zu halten, was der Ruf der Weingüter verspricht.

"Gewinner" sind jedoch wieder die Sauternes. Die Edelfäule entwickelt sich unter dem Regen, und Yquem 1994 wird ein Genuss, auf den sich die Liebhaber der Likörweine freuen. Yquem 1994 ist fruchtig und gut ausgereift. Doch den Experten zufolge hat er einen Nachteil: im Gegensatz zu Yquem 1944 wird er vermutlich nicht sehr gut altern. Doch wen interessiert das, heute, fast zwanzig Jahre nach der Vollendung eines guten Weines?
Copyright: Sandra Winters

Sonntag, 21. April 2013

Pétrus 1934, Pétrus 1944, Pétrus 1954 - vom Jahrhundertwein zur Enttäuschung

Drei Jahrgänge, drei Qualitäten - Pétrus 1934: Spitzenwein, Pétrus 1944, guter Wein, Pétrus 1954, Enttäuschung

Wenn man die drei Jahrgänge vergleicht - Pétrus 1934,Pétrus 1944 und Pétrus 1954 - so hat man das Gefühl, es mit drei verschiedenen Weinen zu tun zu haben.

Pétrus 1934 reifte in einem Jahr, in dem keiner wusste, ob er glücklich, traurig oder von Sorgen überwältigt war. Der Regierungswechsel und die Aufstände im Februar hinterließen ihre Spuren auch in Bordeaux. Wenige Monate später hört man von den Morden in Deutschland, die als die "Nacht der langen Messer" in die Geschichte eingehen sollte.

Doch in Bordeaux denkt man, wie so oft, an Wein - endlich kann man wieder einmal von einem guten Jahrgang reden. Der Sommer ist heiß und trocken, und Pétrus 1934 wird ein Bordeaux, wie man ihn lange nicht mehr gekostet hat. Er ist ausgereift und ausgewogen, sein Geschmack von Anfang an reich und vollmundig. Heute zählt Pétrus 1934 zu den Weinen, die gut gealtert sind und die jeder Weinliebhaber zumindest einmal in seinem Leben kostet möchte.

Zehn Jahre später sieht die Welt ganz anders aus. Im Sommer glaubt man noch, Pétrus 1944 würde dem Jahrgang 1934 ähneln: ein schöner Frühling und ein heißer Sommer lassen die Leute aus Bordeaux den Krieg fast ein wenig vergessen. Doch im Herbst kommt die Enttäuschung: es regnet während der Weinlese. Glücklicherweise kann das Wetter den Wein nicht wirklich beeinflussen: Pétrus 1944 ist schon so reif, sein Tannin so voll entwickelt, dass der Regen ihm nicht mehr schaden kann. Er verringert jedoch seine Chancen, gut zu altern - und es ist wahr, dass Pétrus 1944 inzwischen ein wenig von seiner hervorragenden Qualität verloren hat.

Noch hat das "große Zeitalter" nicht begonnen - Pétrus 1944 ist der letzte Jahrgang vor dem großen Durchbruch des Weingutes auf dem englischen und amerikanischen Markt. Doch man kann sagen, dass dieser Jahrgang dazu beigetragen hat, dass das Weingut ein Jahr später zu den Großen von Bordeaux erklärt wurde.

Der größte Triumph für Pétrus kam fast zehn Jahre später, als Königin Elisabeth ihn zu ihrem Krönungswein machte. Wie groß war dagegen die Enttäuschung, dass nur ein Jahr nach dem weltbewegenden Ereignis in London der Sommer so verregnet war, dass Pétrus 1954 ein absolut mittelmäßiger Bordeaux wurde. Seine Qualität hatte nichts mehr mit Pétrus 1934 oder selbst Pétrus 1944 zu tun: obwohl der Wein von diesem Château nie als wirklich schlecht bezeichnet werden kann, ist Pétrus 1954 verwässert und musste recht schnell getrunken werden. Pétrus 1954 gehörte zu den Weinen, die nicht lange gelagert werden konnten. Doch es war immer noch ein Wein, von dem so mancher Weinliebhaber oft nur träumt...
Copyright: Sandra Winters

Sonntag, 14. April 2013

Bordeaux 1984: Mouton Rothschild 1984, Pétrus 1984 und der Zyklon

Mouton-Rothschild 1984, der Gewinner, Pétrus 1984, der "Verlierer", und Hortense, die Bordeaux 1984 heimsuchte...

Fragt man einen Weinbauern, was er mit Bordeaux 1984 verbindet, dann ist die Antwort spontan: Hortense. Und vermutlich verzieht er sein Gesicht zu einer traurigen Grimasse.

Bordeaux 1984 ist eins der Jahre, die sich in die Geschichte der Stadt und der Weingüter in ihrer Umgebung eingeprägt haben. Dabei fing alles ganz "normal" an…

Der April 1984 war ein angenehm warmer Monat. Einige Optimisten sagten schon einen hervorragenden Jahrgang voraus - wenn das Jahr schon so gut anfing, warum sollte es dann nicht auch so weitergehen? - Doch es waren eher die Pessimisten, die Recht behalten sollten: die, die meinten, man solle doch erstmal den Mai abwarten. Und prompt fing es nicht nur an, zu regnen, es wurde auch viel zu kalt für die Jahreszeit. Die optimistischen Stimmen wurden immer kleinlauter…

Doch noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Für die Merlot-Weine war es zwar quasi zu spät - ein kalter Mai hindert die Weinstöcke, ihre Blüte voll zu entwickeln -, aber die Weine, die vor allem auf Cabernet Sauvignon setzen, hatten noch alle Chancen. So herrschte zum Beispiel sehr gute Laune im Château Mouton Rothschild. Nachdem sein Wein zu 77 Prozent Cabernet Sauvignon enthält und nur 12 Prozent Merlot, so standen die Chancen noch gut für einen hervorragenden Mouton-Rothschild 1984...

Im Château Pétrus herrschte weniger frohe Stimmung. Pétrus1984so wusste man schon jetzt, würde kein hervorragender Wein. Nachdem er nur sehr wenig Cabernet Sauvignon enthält, dafür aber sehr viel Merlot, wusste man schon jetzt, dass man einen mehr oder weniger verlorenen Jahrgang vor sich hatte... Was nicht hieß, dass die relativ wenigen Trauben, die von Pétrus 1984 trotz aller Probleme eingebracht werden konnten, nicht trotzdem - wie immer - einen Wein ergaben, wie nur Château Pétrus ihn herstellen kann...

Im Juni war es immer noch zu kalt, und im Juli war es klar, dass die Weinlese sehr spät stattfinden musste, wenn die Weine noch eine geringe Chance haben sollten, auszureifen. Glücklicherweise war das Wetter im Juli und August auf der Seite der Weinliebhaber, und man jubilierte überall dort, wo der Wein aus wenig Merlot und viel Cabernet Sauvignon bestand. Für die Familie Rothschild gab es keinen Zweifel: ihre Vorgänger hatten eine gute Entscheidung getroffen. Der starke Gehalt an Cabernet Sauvignon in ihrem Wein garantierte einen Mouton-Rothschild 1984, der wieder einmal den guten Ruf des Château bestätigen sollte…

bis Hortense erschien. Für die Wissenschaftler war sie ein Phänomen - für Bordeaux 1984 eine Katastrophe. Da nützte es auch nichts, dass die ganze Welt ihre Augen auf die Stadt richtete... denn man sprach nicht von dem guten Wein der Region, sondern von dem ersten Zyklon der Geschichte, der bis Südfrankreich vorstieß und einen großen Teil des fast ausgereiften Weines zerstörte. Für den Merlot war dies natürlich keine echte Katastrophe - nach dem kalten Mai, hatte er sich sowieso nicht entwickeln können. Aber jetzt war das Aus auch für die Weine wie Mouton-Rothschild 1984 gekommen.

Die raren Weine aus Bordeaux 1984, die die Frühjahrskälte und den Zyklon überstanden haben, gehören nicht zu den besten. Außer vielleicht dem "unverwüstlichen" Romanée Conti, dessen Jahrgang 1984 jetzt schon zu rund 1000 Euro pro Flasche gehandelt wird. Und ein Pétrus 1984 kostet sage und schreibe über 2000 Euro.
Copyright: Sandra Winters

Samstag, 6. April 2013

Bordeaux 1962, ein "heimlicher" Spitzenwein

Wie man erst später merkte, dass auch Bordeaux 1962 zu den Jahrhundertweinen gehört

Die Menschen sind schon manchmal komisch - aber fast berechenbar. Nach dem großen Erfolg des Bordeaux-Weins von 1961, der trotz der starken Verluste durch Frühlingsfrost ein echter Jahrhundertwein wurde, war es wieder Zeit für die Unkenrufe. Nach solch einem Jahr, so sagten die "Kenner", kann es nicht so schnell wieder einen guten Wein geben. Bordeaux 1962, so wusste "man" von Anfang an, würde ein sehr mittelmässiger Wein.

Aber das war ja auch nicht so schlimm. Bordeaux 1962 konnte ruhig ein schlechter Wein werden - man hatte ja noch den vom Vorjahr, der bald in den Verkauf gehen sollte. Und so achtete niemand so richtig auf den heranreifenden Bordeaux 1962, und selbst als es zur ersten Kostprobe kam, hörte man erst gar nicht so richtig hin. Auf einen Spitzenwein folgt ein mittelmäßiges Jahr, das sagten schon die Weisen...

Und so wuchs völlig unbeachtet ein neuer Jahrhundertwein heran. In diesem Bordeaux 1962 waren nicht nur die Rotweine fruchtig und ausgeglichen, auch die Weißweine und selbst die Likörweine brachten Spitzenqualitäten hervor.

Doch auch wenn der Wein so ziemlich das wichtigste Thema ist in Bordeaux - schließlich läßt er nicht nur die Weinbauern leben, sondern tausende von Angestellten in den Weingütern, Erntearbeiter, Lieferanten... - so gab es doch andere Dinge, an die man dachte im Jahrgang Bordeaux 1962. Da war zum Beispiel der See, der aus der Trockenlegung der Moorgebiete im Norden der Stadt entstand. Dann wurde ein Ausstellungszentrum errichtet. Es sah ganz so aus, als sollte Bordeaux auch andere Einrichtungen bekommen, von denen seine Bewohner leben konnten. Ein See zieht immer Tourismus an. Und ein Ausstellungszentrum die Wissenschaftler und Kunstliebhaber von nah und fern...

Die "Bombe" platzte eigentlich erst einige Jahre später, als man die wirklichen Qualitäten des Bordeaux 1962 entdeckte - und verstand, dass ein Jahrhundertwein unmittelbar auf einen anderen Jahrhundertwein folgen kann.
Copyright: Sandra Winters

Freitag, 5. April 2013

Bordeaux 1961 und die Önologie

Ein erstaunlicher Jahrhundertwein und der Einzug der Önologie in Bordeaux 1961

Es war schon ein verrücktes Jahr, dieses Bordeaux 1961. Obwohl der letzte Jahrhundertwein gerade mal zwei Jahre alt war, so liefen doch viele Leute mit geschockter oder trauriger Mine herum - alle Leute, die in Bordeaux etwas mit Wein zu tun haben, und das sind sehr viele… Denn das Frühjahr sagte einen sehr schlechten Jahrgang Bordeaux 1961 voraus.

Ein Frühjahr, wo die Blüten auf den Weinstöcken erfrieren - das ist selten im Süden von Frankreich. Und doch war es so in Bordeaux 1961: etwa die Hälfte der Ernte war von vornherein verurteilt. Was konnte ein Jahr noch bringen, wo man schon im Frühjahr wusste, dass nicht viel Wein heranreifen würde… wenn er es überhaupt schaffen würde, heranzureifen.

Aber man hatte auch anderes zu tun, in diesem Jahr Bordeaux 1961. Es war Zeit, mal so richtig über die Technik der Weinverarbeitung nachzudenken. Der große Frost von 1956 hatte gezeigt, dass der Mensch immer noch schwächer war als die Natur - und in diesem Frühjahr sah es ganz so aus, als sollte sich diese schlechte Erfahrung wiederholen. Andererseits hatte der Jahrgang 1959 mit seinem gelungenen Wein die Augen der Welt zurückgerichtet auf Bordeaux und seine Weine. War es nicht eine Art von Pflicht, den Ruf der Gegend durch eine moderne Weinverarbeitung zu unterstützen.

So löste das Zusammenspiel von sehr guten und sehr schlechten Jahren den Startschuss aus für eine neue Weinphilosophie in Bordeaux. Man zählte nicht mehr nur auf die Natur, sondern auch auf die moderne Technologie. Die ersten bekannten Önologen hielten ihren Einzug in Bordeaux.

Doch trotz allen bösen Voraussagen wurde der eisige Frühling Bordeaux 1961 von einem herrlich heißen Sommer abgelöst. Die Blüten, die nicht erfroren waren, entwickelten sich zu Trauben, die schnell reiften und eine erstaunliche Fruchtigkeit entwickelten. Bei der Weinlese herrschte mildes, klares Wetter, und man merkte schließlich, dass man es mit einem echten Jahrhundertwein zu tun hatte. Seine Quantität war zwar gering - der Verlust im Frühjahr war nicht wieder gut zu machen, aber seine Qualität war einzigartig…
Copyright: Sandra Winters