Mouton-Rothschild 1994 und sein Etikett: Karel Appel und der Aufstand der Kinder
Mouton-Rothschild 1994 und sein Etikett: Karel Appel und der Aufstand der Kinder
Er wurde in Amsterdam geboren und in Paris begraben.
Heute ruht er auf dem berühmtesten Friedhof Frankreichs, dort wo man die Gräber
aller großen Künstler des Landes findet - auch wenn sie Franzosen sind nicht
durch Geburt, sondern durch ihre Kultur...
Als Philippine de Rothschild,
die Herrin von Château Mouton-Rothschild, den Holländer Karel Appel zu sich
rief, war er den Kunstkreisen schon wohl bekannt. Seine erste Ausstellung fand
in Groningen in Holland statt - da war er immerhin schon 25 Jahre alt. Doch
dann ging seine Karriere steil nach oben: vier Jahre später, 1950, zog es ihn
nach Paris und schon drei Jahre später stellte er im Palast der schönen Künste
in Brüssel aus. Und kurz darauf in New York, Paris, Tokio...
Seine Vorbilder waren Künstler wie Pablo Picasso und
Henri Matisse. Die französische Kunstszene zog ihn magisch an. Auch wenn er
eine Zeitlang in Mexiko und in New York lebte, so fühlte er sich doch in Paris
zu Hause.
Karel Appel hatte einen wichtigen Wunsch: er wollte Kind
bleiben. Was ihn in der Kunst anzog, dass war die Idee, wie ein Kind zu malen.
Er benutzte seine Farben "um auf einer Leinwand zu zeichnen wie mit einem
Stück Kreide auf einer Tafel." Für ihn ist ein Gemälde "keine
Konstruktion aus Farben und Strichen, sondern ein Tier, eine Nacht, ein Schrei,
ein menschliches Wesen, es formt eine unteilbare Einheit."
Seine kindlich inspirierte und doch so reife
Malerei gefiel denjenigen, die ihre Kindheit noch nicht ganz vergessen hatten -
die aber auch nicht vergessen hatten, dass ein Kind oft hilflos einer Gesellschaft
ausgeliefert ist, in der es keinen Platz findet. Für ihn waren Kinder ein
Symbol der Wahrheit, kleine Menschen, die in einem Aufstand lebten, zu dem sie
nicht fähig waren. Und so, ohne es zu wollen, verursachte er einen Skandal.
Kurz nach seiner ersten Ausstellung bat ihn
die Gemeinde von Amsterdam, eine Wand in der Kantine des Rathauses zu gestalten.
Was man wollte, das war eine ruhige, brave Darstellung von netten Kindern.
Karel Appel tat, was man ihm beauftragt hatte - er stellte Kinder dar. Aber
Kinder in seiner Wahrheit: stark und unfähig zugleich, voll Kraft und doch so
schwach. Seine Bilder sprachen von der Kindheit, die er selbst erlebt hatte:
Sohn von einfachen Eltern, der in der Gesellschaft unsichtbar war.
Die Beamten des Rathauses waren so entsetzt
über sein Werk, dass es zehn Jahre lang unter einer Tapete versteckt wurde.
Es ist logisch, dass
dieser Künstler eine Frau wie Philippine de Rothschild interessierte. Als es
darum ging, ein Etikett für den Mouton-Rothschild 1994 zu gestalten, gab
es für sie keinen Zweifel. Sie beobachtete das Schaffen von Karel Appel schon
seit Jahren, es war Zeit, dass er in ihre "persönliche" Galerie
eintrat.
Karel Appel war der
erste holländische Künstler, der ein Etikett für Philippine de Rothschild entwerfen
durfte. Und er enttäuschte sie nicht. Das Etikett des Mouton-Rothschild 1994
gelang ganz in dem Sinne des Künstlers, der selbst mit über 70 Jahren seinen
Sinn für die kindliche Naivität und die stille Revolution nicht verloren hatte.
Mouton-Rothschild
1994 ist ein Jahrgang, auf dessen Etikett getanzt wird. Es könnte zwei Trinker
darstellen, die wie entfesselt von allen Normen der Gesellschaft um eine
Flasche herumtanzen. Diese Flasche könnte einen Marterpfahl symbolisieren -
einen Marterpfahl, den sie besiegt haben. Es könnten aber auch zwei Kinder
sein, deren Tanz die Freiheit herbeiruft, von der der Maler immer geträumt hat,
und die die Tabus der Gesellschaft endlich in ihrer Macht haben.
Karel Appel starb 12
Jahre nach der Realisierung des Etikettes von Mouton-Rothschild 1994. Und es
blieb das Symbol seines Schaffens: ein kindlicher Aufstand gegen die
Unterdrücker, der nie stattfinden sollte.
Copyright: Sandra Winters