Unruhe im Milieu der Weine aus Roussillon: keine Sondergenehmigung für Zuckerzusatz
Die einen reden von Ungerechtigkeit. Die anderen
überlegen nur, wie sie ihren Wein - zur Not künstlich - verbessern können. Und
die dritten denken an die Qualität, die natürliche Qualität, ihres Weines.
Wieder einmal gibt es Ärger im Milieu der Weine aus Roussillon. Und wieder einmal geht es um das Chaptalisieren, die
Anreicherung von Wein mit Zucker.
In der Regel gehen die Weinliebhaber natürlich davon aus,
dass ihr französischer Wein zu hundert Prozent aus gegorenem Rebsaft besteht.
In der Regel ist das natürlich auch wahr - doch manchmal gärt der Rebsaft nicht
so, wie der Winzer es sich wünschen würde. - Und dann tritt das Chaptalisieren als Retter auf.
Unter Chaptalisieren versteht man die Anreicherung des
Weines mit Zucker. Ihr Name weißt auf Jean-Antoine Chaptal hin, einen
französischen Chemiker und gleichzeitig Minister, der den Prozess - mit Hilfe
der wissenschaftlichen Arbeit des Geistlichen François Rozier - erfunden, oder
vielmehr entdeckt, hat. Er beruht auf der Erkenntnis, dass es der natürliche
Zucker im Wein ist, den ihn zum gären bringt und einen gewissen Alkoholgehalt
entwickelt. Je mehr Zucker ein Wein enthält, je höher wird sein Alkoholgehalt.
Doch nicht jeder Wein hat genügend natürlichen Zucker, um
einen befriedigenden Alkoholgehalt entstehen zu lassen. Denn der Zucker
entwickelt sich mit dem Reifeprozess, der wiederum direkt mit der Sonneneinstrahlung
in Zusammenhang steht. Das Klima von Nordfrankreich, zum Beispiel, kann nicht
genügend Sonnenstunden garantieren, damit der Wein wirklich ausreift. So ist
Antoine Chaptal auf die Idee gekommen, man könnte eine Art künstliche Gärung
herbeiführen, indem man dem Wein zusätzlichen Zucker beifügt. Man hat
ausgerechnet, dass knapp 17 Gramm Zucker auf einen Liter Wein den Alkoholgehalt
um ein Grad erhöhen.
Wenn es also kein Chaptalisieren gäbe, müsste man auf
den Wein aus dem Rhone-Tal, Burgund und dem Elsass weitgehend verzichten. So gehört
die künstliche Beifügung von Zucker für die Winzer aus dem Norden Frankreichs inzwischen
zum Wein-Alltag. Anders sieht es in südlichen Gebieten aus. Die
Sonneneinstrahlung ist dort so intensiv, dass Chaptalisieren einfach nicht
nötig ist.
Meistens. Außer in ausgesprochen schlechten Jahren. Und
da fängt der Streit dann an.
Die europäische Regelung hinsichtlich des Chaptalisieren teilt die
französischen Weine in drei Gruppen. Die erste und zweite Gruppe darf
grundsätzlich Zucker beifügen, auch wenn die Zuckermengen rechtlich begrenzt
sind. Die dritte Gruppe dagegen darf den Wein nur in besonders kritischen
Jahren mit Zucker versetzen, in sehr geringer Menge, und auch nur nach Anfrage
bei den entsprechenden Behörden.
Zu dieser dritten Gruppe gehören alle südlichen
Weingebiete, die Provence, Languedoc, die Weine der Pyrenäen bis nach Bordeaux.
Der Unterschied zwischen den Mitgliedern dieser Gruppe ist nur, dass die
Genehmigungen nicht überall gleichmäßig erteilt werden. In Bordeaux, zum
Beispiel, wo das Klima zwar noch wärmer ist als im Norden Frankreich, aber
unter dem kühleren Einfluss des Atlantik und nicht des Mittelmeeres steht, geht
man davon aus, dass der Wein im Durchschnitt nur alle drei Jahre ausreift. Die
"Sondergenehmigungen" zur Chaptalisieren sind also häufig.
Anders sieht es aus für den Wein aus Roussillon. Dieses
Gebiet, wo der südlichste französische Wein wächst, kann sich in der Regel
nicht über Mangel an Sonneneinstrahlung beklagen. Doch es gibt auch hier Ausnahmejahre
- wo dann das Chaptalisieren helfen würde, das Jahreseinkommen der Winzer zu
retten.
Im Jahre 2012 war es mal wieder soweit. Die Weinlese fand
erst spät statt, viele Trauben waren nicht vollständig ausgereift. Die Winzer
sorgten sich um die Qualität des Weines aus Roussillon und erbaten die
Genehmigung zu Chaptalisieren... die, wie immer, prompt abgelehnt wurde. Die
Behörden gehen davon aus, dass der Wein aus Roussillon selbstständig, nur mit
Hilfe des Bodens und der Sonne, in der Lage ist, einen optimalen Alkoholgehalt
zu entwickeln. Die Winzer reden von Ungerechtigkeit - und die Freunde von
Roussillon-Wein von einem hundertprozentig reinen Wein... Denn ohne
Chaptalisieren besteht der Wein wirklich aus dem, was man glaubt - aus dem Saft
der Rebe.
Copyright: Sandra Winters
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