Ein unerwarteter Jahrgang 1945, ein hervorragender Jahrgang 1961 - und ein Jahrgang 1962, mit dem keiner rechnete
Der Traum aller Önologen: einen guten Jahrgang
voraussehen können. Oder zumindest die "Zeichen" eines guten oder
schlechten Jahrgangs zu erkennen.
In Bordeaux, Jahrgang 1945, rechnete keiner mit einer
guten Ernte. Dabei wäre ein guter Wein gerade in diesem traurigen Siegesjahr so
willkommen gewesen. Denn auch wenn Frankreich im Endeffekt zu den Siegern des
Krieges gehörte, so ging es den Leuten doch überall gleich schlecht: im Volk
gab es nur Verlierer. Viele Männer waren nicht aus dem Krieg zurückgekommen,
die Familien kämpften gegen den Hunger und das nackte Überleben. Es mangelte
nicht an Arbeit, aber an Arbeitskräften.
Deshalb konnte der Jahrgang 1945 auch nicht vollständig eingebracht
werden. Denn entgegen aller Voraussagen wäre er es wert gewesen. Und da
schütteln die Önologen den Kopf: ein Jahr, in dem es im Frühjahr noch mal
friert, wo die jungen Triebe fast alle eingehen, das kann nur zur Katastrophe
werden. Doch Sommer und Herbst wurden heiß und trocken und sorgten für einen
hervorragenden Wein.
Jeder weiß, dass ein heißer, trockener Sommer und ein
schöner Herbst gut für den Bordeaux-Wein (und sicher auch für, zum Beispiel,
einen Saint-Chinian,
das heißt für alle südlichen Weine) sind. Aber eigentlich sind sich die
Experten einig: Frühjahrsfrost zerstört alle Hoffnung auf einen guten Jahrgang,
egal wie heiß der Sommer wird. - Wieder einmal reagierte die Natur anders als
die erfahrenen Weinkenner annahmen... und mit dem Jahrgang1946 sollte es nicht anders sein...
Der berühmte Jahrgang 1961 brachte die gleiche
Überraschung. Heute sagt man, dass dieser Jahrgang 1961 einen der besten
Bordeaux-Weine der Nachkriegszeit hervorgebracht hat. Doch im Frühling machten
die Eigentümer der Weingüter eher ein trauriges Gesicht: wie 1945 litten die
Weinstöcke unter einem Frühlingsfrost, wie man ihn in Bordeaux nur selten
kennt. Und wieder spielte die Natur den erfahrenen Kennern einen Streich: der
Sommer war so heiß und der Herbst so freundlich, dass der Wein ganz einfach
hervorragend war.
Nachdem der Bordeaux 1961 so gut gelungen war, konnte der
Jahrgang 1962 nur schlecht werden. Das sagten zumindest die "Weinkenner"
aus Bordeaux. Denn zwei gute Jahrgänge hintereinander, das galt als unmöglich.
Bestenfalls konnte der Jahrgang 1962 noch durchschnittlich werden...
Man sollte es nicht für möglich halten, aber man merkte
erst einige Jahre später, dass der Jahrgang 1962 quasi genauso gut war wie der
Jahrgang 1961. Der Wein war fruchtig und ausgewogen, das Tannin gut ausgereift
- er hatte alles, um alle Qualitäten eines jungen Bordeaux vorzuweisen und, bei
guter Lagerung, hervorragend zu altern. Dazu kam das Wetter: der Frühling war
angenehm warm, von Frost konnte keine Rede sein. Die Weinstöcke fingen an zu sprießen,
ohne dass die jungen Blätter von einer Kälteperiode bedroht würden. Der Sommer
war heiß, die Erntezeit sonnig... die Kenner hätten eigentlich wissen müssen,
dass sie einen hervorragenden Jahrgang erlebten. Doch, zumindest
"offiziell" (es gab sicher einige, die anders dachten), war der
Jahrgang 1962 von vornherein "verdammt" einen schlechten Wein zu
liefern - und das nur, weil der Jahrgang 1961 einfach zu gut war, in den Augen
der Leute, um sich so schnell zu wiederholen.
Copyright: Sandra Winters
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